1939 Der Krieg, der viele Väter hatte
Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg.
Buchbesprechung durch die DEUTSCHE STUDIEENGEMEINSCHAFT
Nunmehr hat Generalmajor a. D. Gerd
Schultze‑Rhonhof ein umfassendes Werk mit dem Titel der obigen
Überschrift vorgelegt, dessen akribische Darstellung der Fakten und Hintergründe
den "gewollten Weg" in den Zweiten Weltkrieg aufzeichnet.
Es ist nicht nur "der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg", der
das Buch in seinem Umfang (565 Seiten) bestimmt, sondern der lange historische Prozeß,
der diesen Anlauf erst in
seinem vollen Kontext verständlich macht.Die übliche deutsche
Geschichte ... blendet diesen Kontext ‑ aus welchem Grund auch
immer ‑ fast zur Gänze aus." Die Art und Weise, wie der Autor
Daten und Fakten zu einem logischen Zusammenhang verbindet, macht das Werk zu
einer faszinierenden Lektüre. Wer sich künftig möglichst objektiv über die
Geschichte des "Dreißigjährigen Krieges des 20. Jahrhunderts in
Europa", und wie es dazu kam, informieren will, wird dazu am besten gleich
das Werk von Schultze‑Rhonhof zur Hand nehmen.
Keine Sorge,das Buch bietet keine trockene Zahlengeschichte, sondern eine gut lesbare
Geschichte der Zusammenhänge und Hindergründe. Dabei ist es dem Autor gelungen ‑
auch durch Auswertung internationaler Quellen ‑, so manches Unbekannte
zutage zu fördern. Zu empfehlen ist das Buch daher besonders den nachgeborenen
Generationen, die mit der Verfemung ihrer Eltern‑ und
Großelterngeneration klar kommen müssen. Bei Schultze‑Rhonhof finden sie
Orientierung durch Klarheit und Wahrheit.
Dabei ist es verdienstvoll, daß der Autor, unter Beachtung des
jeweiligen historischen Zeitrahmens, sich bemüht, "Zusammenhänge
aufzuzeigen, nicht nach (ihren) Zeitabläufen, sondern nach den
Querbezügen"Dadurch gelingt es ihm, die Ursache‑Wirkungs Beziehungen der vielen
"verschiedenen Querbezüge und Zusammenhänge in denselben Zeitabschnitten
stattgefunden haben und dieselben geschichtlichen Ereignisse berühren" ‑
trotz mancher unauffälliger Wiederholungen ‑, verständlich zu machen.
Bei streitenden Parteien liegt es nahe, sie alle miteinander zu betrachten. Vieles
in unserer deutschen Geschichte zwischen 1919 (Anm. d. Verf.:
eigentlich schon seit Ende des 19. Jh.) und 1939 ist ohne Kenntnis des
zeitgleichen Geschehens in anderen Ländern nicht zu verstehen, zu eng greifen
oft Wirkung und Wechselwirkung ineinander"
Es war die Verantwortung aller westlichen Großmächte, die die Welt in den Strudel der
fürchterlichsten Kriegsgeschehnisse der neueren Zeit stürzte. Die
"Regierungskriminalität" aller streitenden Mächte wird nicht
ausgeblendet, sondern offen angesprochen. Auch die Mitschuld der deutschen
Reichsregierung wird nicht ausgeklammert und, soweit beklagbar, durch Tatsachen
belegt.
Um die Vielschichtigkeit der Materie aufzuzeigen, bedient sich der Autor (Seite 513)
einer Illustration, die kurz zitiert werden soll:
Die Gründe, die zum Zweiten Weltkrieg führen, liegen wie bemalte Glasscheiben
aufeinander. Ganz klar sieht man nur das bunte Bild auf dem
obersten, zuletzt aufgelegten Glas. Das Bild auf der nächsten, darunter liegenden
Scheibe ist noch erkennbar, doch schon erheblich matter. Die Bilder auf
den unteren, älteren Glasplatten schimmern nur noch ganz schwach
durch, doch ihre Farben und Konturen sind noch immer Teil dessen, was
man von oben sieht."
So zeigt das Bild der obersten Glasscheibe vordergründig, daß Deutschland zwar nicht die
ersten Gewalttaten begangen und auch nicht die ersten Schüsse abgegeben hat,
aber als erstes die offizielle kriegerische Handlung eröffnete (Wer kennt nicht
das ständig wiederholte Bild der Beseitigung eines Grenzbalkens zu Polen?).
Dieses alles nur angeblich "im Streit um Danzig, um die
Korridorpassage und um das Schicksal der drangsalierten Minderheiten
im neuen Staat Polen" zu ordnen.
Die tieferliegenden Glasscheiben lassen allerdings deutlich Erkennen, daß keiner der
beteiligten Kriegsgegner auch nur im entferntesten wegen Danzig, zur Rettung
Polens oder der europäischen Juden, ja nicht einmal wegen ihrer hehren Ziele
wie Menschenrechte, Freiheit und Demokratie, sondern wegen eindeutiger
nationaler Interessen, wie sie sie verstanden, den Krieg wollte. Wie der
ehemalige israelische Botschafter in Bonn sagte: "Entscheidend ist, was
den ersten Schüssen vorausgegangen ist.
Die detaillierte, verständliche Inhaltsgliederung des umfangreichen Textes ‑
der durch 35 Karten und 14 Abbildungen aufgehellt wird ‑ erleichtert die
Auswahl bestimmter Themenbereiche und damit die Erarbeitung des Inhaltes, ohne
daß man gezwungen ist, den Gesamttext in einem Zug durchzuarbeiten. Dies kommt
vor allem den Kennern der Materie zugute. Der Anfänger sollte allerdings mit
dem Vorwort beginnen und systematisch durchgehen, sonst geht ihm leicht das
Verständnis für Zusammenhänge verloren.
Beispielhaft für den Gesamttext bringen wir mit freundlicher Genehmigung des Verlages
nachstehend den Abdruck eines Kapitels. Es ist die Quintessenz, ersetzt aber
nicht den Inhalt. Wer die Geschichte des 20. Jahrhunderts verstehen und in der
Sache mitreden will, wird um die Erarbeitung des Gesamttextes nicht herum
kommen.