Das Vorwort ist dem Buch "Wozu noch tapfer sein?"
entnommen.
Kindheit, Jugend und Berufsleben liegen nun hinter mir. Die Geburt 1939
in Weimar und die Pensionierung 1996 in Hannover sind die Daten und
Orte, zwischen denen sich mein Leben abgespielt hat. Dazwischen liegen
22 Stationen - soweit es die Wohnorte betrifft; und Krieg, Niederlage,
Flucht, Nachkriegsjahre, Boomiahre und Wiedervereinigung, was die er-
lebte Geschichte angeht.
Nun will ich für die Dauer dieses Buches innehalten und zurück- sowie
vorausschauen. Und ich will kommentieren, was ich gesehen habe: auch
das, was vor und nach meiner Zeit lag und liegen wird, denn der Blick
über die eigene Wegstrecke hinaus gibt einem die nötigen Maßstäbe.
Meine Betrachtungsweise ist naturgegeben eine relative; denn meine
dienstliche Position und mein Alter führen zu einer bestimmten Sicht
weise. Die letzten elf meiner 37 Soldatenjahre habe ich als Kommandeur
einer Panzergrenadierbrigade, der Panzertruppenschule des Heeres, zwei
er Panzerdivisionen und eines Wehrbereichs gedient. Aus diesem Grund
bin ich als höherer Offizier nicht mehr im Verteidigungsministerium oder
in einem hohen NATO-Hauptquartier gewesen. Diese Pflichttore hatte
ich bereits vor 20 Jahren durchlaufen. So bin ich als Zweisternegeneral für
die Offiziere und Unteroffiziere aus der Truppe ein »hohes Tier mit
Überblick und Einfluß« und für den gleichen Personenkreis im Ministerium
und in den Hauptquartieren ein »Truppenschwein mit Froschper
spektive«.
Auch die Zugehörigkeit zum Jahrgang 39 beeinflußt meine Sicht. So
war mein Leben Kindheit im Krieg, Jugend in der Besatzungszeit und Mi
litärjahre in der aufstrebenden Bundesrepublik. Dies bestimmt mein Ver
hältnis zu Krieg, Flucht, Aufbau und Normalität im Lande. Ich stehe nach
meinem Lebensalter zwischen den Soldaten der Wehrmacht, die uns junge
Offiziere vor fast vier Jahrzehnten in den Beruf eingeführt und jahre
lang erzogen haben, und dem, was heute Bundeswehr darstellt.
Ich stehe zeitlich zwischen Drittem Reich damals und Bundesrepublik
Deutschland heute. Mein erstes politisches Bewußtsein haben Vater und
Lehrer nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft
in der Rückschau auf diese und im Abrechnen mit dieser geprägt. Viele
Vorgänge in der Politik von heute rutschen mir immer wieder vor das Ra-
ter dieser Kritik. Daher stammt vielleicht auch mein Hang zu Vergleichen.
Ich habe gesehen, wie sich Dinge wiederholen, wie sich Verhältnisse
und Auffassungen ändern und wie sie sich von einem Extrem zum ande
ren bewegen. Das Pendel des Zeitgeistes ist unterwegs. Es läßt sich leider
nicht in der Mitte festbinden.
Der weitere Blick zurück, der in die Geschichte, hilft mir, vieles in
meinem Leben zuzuordnen und zu bewerten. Ohne Rückschau auf die Geschichte
schichte können wir nicht erkennen, woher wir kommen und was uns
aus jenen Zeiten mitgegeben ist. Neben den eigenen Erlebnissen gibt es
historische Erfahrungen, die unser Tun und Handeln entweder bewußt
oder unbewußt beeinflussen. Manche dieser Erfahrungen sind zu bin-
denden Regeln geworden.
br>Wer weiß, woher er kommt, kann leichter bestimmen, wohin er geht.
Wer es vorzieht, im Nebel zu gehen, darf sich nicht wundern, wenn er im
Kreise läuft. Für mich ist der Blick in die Geschichte deshalb auch ein we-
sentlicher Teil meiner Standortbestimmung und Orientierung.
Geschichtliche Betrachtungen haben mir immer wieder die Ähnlich-
keit der Ereignisse durch die Epochen hindurch vor Augen geführt. Was
ähnlich ist, läßt sich in Relation zueinander setzen; es läßt sich relativieren.
So bin ich zu der Auffassung gekommen, daß wir es von der Antike
bis zur Zeitgeschichte immer wieder und fast ausschließlich mit ver-
gleichbaren Vorgängen zu tun haben. Ich werde deshalb in diesem Buch
auch immer wieder Gebrauch vom Mittel des Vergleichs machen. Und
ich halte aus gleicher Beobachtung die Theorie von der Einzigartigkeit
mancher Leistungen und Fehlleistungen unseres Volkes für eine Irrlehre.
In diesem Buch verlasse ich bisweilen die Fachsprache des Militärs. Dies
soll der besseren Lesbarkeit für diejenigen dienen, denen diese Terminologie
fremd ist. Ich bitte die Leser in Uniform dafür um Verständnis.
Dieses Buch ist kein wissenschaftliches Buch, es ist ein politisches. Ich
schreibe nicht, was wahr und richtig ist, sondern was ich für wahr und
richtig halte. Der dänische Philosoph Kierkegaard hat einmal gesagt:
»Wichtig ist nicht, ob das Christentum wahr ist, sondern ob es für mich
wahr ist.« In gleichem Sinne begreife ich »meine Wahrheiten«.
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